Das zweite Bild
Videoscreening, kuratiert von Melanie Ohnemus
Künstlerinnen: |
Yael Bartana (IL/NL), Jeanne
Faust (D), Nina Könnemann (D),
Julika Rudelius (NL), Corinna Schnitt (D) und Gitte Villesen
(DK/D) |
am 17.,18.,19. Sept. 2004, Beginn: 20.00 Uhr
Freitag, 17.09.04
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Yael Bartana
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Profile, 6:00, DV, 2000
Trembling Time, 6:20 min, DV, 2001
Kings of the Hill, 7:30 min, DV, 2003
When Adar Enters, 7:00 min, DV, 2004
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Jeanne Faust
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White Calf, 3 min, DV und 2 min, 16mm, 1999/2000
Interview, (mit Ulrich Köhler), 9 min, DV, 2003
sonst wer wie du, (mit Joern Zehe), 9 min, 16mm, 2004
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Samstag, 18.09.04
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Nina Könnemann
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M.U.D., 8:30 min, DV, 2000
Unrise, 10:00 min, DV, 2002
Holzminden, 3:30min., DV, 2003
Castles Made of Sand, 3:00 min, Video, 2004
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Julika Rudelius
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Train, 6:30 min, DV, 2001
Your Blood is as Red as Mine, 23:40, DV, 2004
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Sonntag, 19.09.04
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Corinna Schnitt
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Zwischen Vier und Sechs, 6 min, 16 mm, 1998
Das schlafende Mädchen, 9 min, 16mm, 2001
Living a beautiful Life, 13 min, DV, 2004
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Gitte Villesen
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Vorbasse Market and Horsefair ´94, 8 min, DV, 1994
Who get´s the Food?, 4 min, DV, 1995
Ingeborg the Busker Queen, 14 min, DV, 1999
The Building, 18 min, DV, 2003
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Das Videoscreening Das zweite Bild
präsentiert eine Auswahl aus dem OEuvre von sechs jungen Videokünstlerinnen:
Yael Bartana (IL/NL), Jeanne Faust (D), Nina Könnemann (D),
Julika Rudelius (NL), Corinna Schnitt (D) und Gitte Villesen (DK/D).
Die Arbeiten werden als Mini-Personalen vorgeführt, um die
jeweiligen Arbeitsstrukturen, Motivationen und Bildgegenstände
der einzelnen Künstlerinnen nachvollziehen und diskutieren
zu können.
Die inhaltliche Schnittstelle der ausgewählten
Künstlerinnen ist das Interesse an sozialen und alltäglichen
Kontexten. Trotz des gemeinsamen Feldes unterscheiden sich die filmische
Umsetzung und Bildgegenstände der Künstlerinnen durch
jeweils sehr eigenständige Techniken des Erzählens. Im
Vordergrund der filmischen Ästhetiken steht die Entwicklung
von internen Dynamiken, die zu einer Geschlossenheit der filmischen
Form führen.
Äußerlich betrachtet bewegen sie sich
im weiten Feld der so genannten Dokumentarischen Strategien in der
Kunst, die seit Anfang der neunziger Jahre als ein noch genauer
zu klassifizierendes Genre im Kunstfeld an Bedeutung gewonnen haben.
Viel diskutiert, aber bisher wenig theoretisch reflektiert und spezifiziert,
kreisen die unterschiedlichsten dokumentarischen Ansätze zwischen
dokumentarischem Konzeptualismus und medialen Repräsentationsanalysen.
Diese Taktiken artikulieren sich nicht nur durch ihre verschiedenen
Vorgehensweisen, sondern repräsentieren auch verschiedene Formen
von Wahrheitsansprüchen. Im folgenden möchte ich zwei
verschiedene Ansätze des Dokumentarischen vorstellen. Zum einen
eine Form des dokumentarischen Realismus, der im Abbild eine bildimmanente
Authentifizierung findet und zum Anderen einen medienreflexiven
Ansatz, der seine filmischen Werkzeuge zu einer kritischen Reflexion
des Dargestellten einsetzt.
In ihrem Aufsatz "Politik der Wahrheit - Dokumentarismen
im Kunstfeld" 1 unterscheidet Hito Steyerl
diese zwei unterschiedlich agierende Vorgehensweisen des Dokumentarischen
in der Kunst: zum Einen künstlerische Arbeiten, "die den
Anspruch künstlerischer Arbeiten auf den Kontakt mit einem
auratisierten Feld des Sozialen, bzw. Politischen gewährleisten
sollen. Die formalen Mittel, die hier eingesetzt werden, sind oft
sozialrealistisch und versuchen möglichst transparent zu bleiben.
(...) Hier wird das dokumentarische Moment als Beweismittel sozialer
Relevanz und als Beleg eines 'organischen' Verhältnisses zum
sozialen Feld eingesetzt. (...) Authentizität wird zur vitalistischen
Ideologie, die gerade auch im Kontext der Globalisierung zum begehrten
Rohstoff der Differenz erkoren wird und vom Mythos jenes echten
und differenten Lokalen zehrt, der gegenwärtig in postethnografischen
und neokulturalistischen Ausstellungen reproduziert wird."
"Dem entgegen steht eine andere, reflektiertere
Strömung des Dokumentarischen, die ihre eigenen Mittel als
sozial konstruierte epistemologische Werkzeuge wahrnimmt." Die Sichtbarmachung
dieser jeweils spezifischen Werkzeuge und dem Kurzschluss der ästhetischen
Reflektion eines Gegenstands oder Phänomens mit diesen Werkzeugen,
erscheint hier als unverzichtbares Mittel zur Erzeugung eines kritischem
Bewusstseins. In diesen filmischen Strategien liegt die Repräsentation
einer Wirklichkeit, die ausdrücklich eine spezifische Sicht
zu einer vorgefundenen Wirklichkeit einnimmt. Aus der jeweilig spezifischen
Bearbeitung der Bilder vermittelt sich die Struktur des Erzählstranges,
dem die Betrachter folgen. Dies scheint so allgemein gesprochen
dem bekannten Vorgang des Editings von Filmmaterial zu entsprechen.
Dennoch zeichnen sich die ausgewählten Künstlerinnen dadurch
aus, dass sie eine jeweils individuelle Technik des diskontinuierlichen
Erzählens, eines 'Dazwischen-Erzählens' gefunden haben.
Diese sind etwa die Verwendung von Bildwiederholungen, Verlangsamung
der Bilder und Überblendungen (Bartana), performative Interventionen,
die sich in das vorgefundene Geschehen einfügen (Könnemann),
Re-Inszenierung der vorgefundenen oder erinnerten Situation (Faust
und Rudelius), Verwendung einer Overvoice, die eine ganz andere
Geschichte erzählt als das gleitende Bild zeigt (Schnitt) oder
Interviewsituationen, in denen der Verlauf eine Eigendynamik entwickelt,
die von beiden Gesprächspartnern bestimmt und immer wieder
gebrochen wird (Villesen). Das Bildfeld wird zu einer dynamische
Konstruktion.2 Die verschiedenen Bearbeitungstechniken
haben in diesem Sinne eines gemeinsam: Sie setzen bei dem bereits
vorhandenen medialen Wissen des Zuschauers an und entwickeln darauf
eine 'zweite Schicht' des Erzählens, die oft mit einem Mini-Szenario
auskommend, Bedeutungen produzieren, die sozusagen über die
dargestellte Bildebene hinauswachsen.
In einer von Jan Verwoert zur Differenzierung dokumentarischer
Strategien in der Kunst vorgeschlagenen Analyse des Aufsatzes "Der
Essay als Form" von Theodor W. Adorno findet sich eine hilfreiche
Beschreibung dieser künstlerischen Technik. "Der Essay
setzt dem linear objektivierenden Denken der Wissenschaft eine andere
Form der Erkenntnis entgegen, die auf der Erfahrung assoziativ angeordneter
Aussagen im Vollzug persönlicher Erfahrung beruht. (...) Adorno
zeigt, dass der Essay überraschenden Wahrheitsgehalt hervorbringen
kann, gerade weil er das Risiko eingeht, Fehlstellen und mangelnde
Legitimation mit einzukalkulieren. (...) Die Arbeit eines Essayisten
ist es, eine Struktur aus zueinander verwandten Kategorien herzustellen
- nicht im Sinne eines linearen Zeitverlaufs, sondern eher als eine
'konstruierte Koexistenz' im Raum, als ein 'Kraftfeld' oder ein
'Mosaik'. Durch 'die Wechselwirkung seiner Begriffe im Prozess geistiger
Erfahrung' (Adorno) bringt der Essay, eine Form des Verstehens der
Zusammenhänge hervor. Die Erfahrung wird zur Grundlage, auf
der die Vermittlung zwischen verschiedenen Elementen in einer einem
komplexen Zusammenhang möglich wird."3
In diesem Sinne gehen die Wirklichkeit, wie sie sich
zeigt und das daraus bearbeitete Bild, eine Koexistenz ein. Die
wahrgenommene oder erinnerte Wirklichkeit wird als erfahrene Wirklichkeit
mit Hilfe von filmischen oder performativen Mitteln in ein neues
Dokument transformiert. Diese Wahrnehmungen basieren sowohl auf
individuellem als auch allgemeinem Wissen von der Wirklichkeit.
Beim Einsatz von solchen filmischen Techniken geht es also weniger
um Objektivierung oder Interpretation des Dargestellten im didaktischen
Sinn; es geht eher darum die oder besser gesagt die selbst gewählte
Repräsentation des Bildes sichtbar zu machen. Somit gibt das
Dargestellte selbst die Idee zum Bild vor, das sich aus der Wahrnehmung
der Wirklichkeit entwickelt. Diese Form der Materialisierung des
visuellen Denkens in formalen Techniken der Bildbearbeitung erlaubt
es, sowohl die Repräsentation des Dargestellten, als auch die
Koexistenz von Assoziationen, Fragen und gewünschte Verschiebungen
sichtbar zu machen. Vielleicht wäre dies der Unterschied des
einfachen Abbildes zum zweiten Bild .
Yael Bartana beschäftigt sich
mit der Konstitution der nationalen Identität Israels. In ihren
Videoarbeiten lotet sie den Zusammenhang von gemeinschaftlich begangen
Ritualen und der Konstruktion einer Zusammenhalt stiftenden "Imagined
Community" (B. Anderson) aus. Yael Bartana arbeitet mit Wiederholungen,
Überblendungen und Verlangsamung der Bilder; mit diesen technischen
Verfremdungseffekten formuliert sie eine distanziert-kritische Reflexion
der kollektiven Muster einer Nation. In "Trembling Time" (2001)
zeigt Yael Bartana, dass sogar die Autos, sobald eine Sirene am
Soldiers Memorial Day ertönt, auf einer vierspurigen
Straße anhalten, um der gefallenen israelischen Soldaten zu
gedenken. Bartana filmt diese Situation nachts von einer Autobahnbrücke
aus. Die heranfahrenden Autos scheinen immer langsamer zu werden,
sich in Überblendungen selbst zu überholen, bis zum tatsächlichen
Stillstand. In "Profile" (2000) sind israelische Soldatinnen bei
Ladeübungen am Gewehr zu sehen. Diese Arbeit ist ebenfalls
stark verlangsamt und als Loop angelegt, so dass der Eindruck eines
immer währenden 'vorbereitet Seins' entsteht. In beiden Arbeiten
sind es staatlich verordnete Maßnahmen, die in ritualisierter
Form die allgegenwärtige Bedrohungssituation und die daraus
folgende Verteidigung der nationalen Gemeinschaft wach halten sollen.
Auf diese Weise wird immer wieder aufs Neue die nationale Einheit
konstruiert und untermauert. "When Adar Enters" (2003) bezieht sich
auf ein viel älteres, durch die jüdische Tradition begründetes
Ritual. Es zeigt die Feierlichkeiten in Israel während des
jüdischen Festes Purim. Bartana erzeugt mit einer extremen
Verlangsamung der Bilder, Überblendungen und vor allem mit
der Bearbeitung der Tonspur einen unheimlich wirkenden Gesamteindruck
der Szenerie. Der Ton setzt sich aus Soundfragmenten zusammen, die
stark verlangsamt und übereinander montiert im Verhältnis
zum Bild ein Eigenleben zu führen scheinen. Die extreme Verlangsamung
erzeugt, ähnlich wie bei der Wiederholung eines Fouls im Fernsehen,
eine Spannung, in der man beginnt, kleinste Details als bedeutsam
wahrzunehmen. Um Wiederholung, aber diesmal im Sinne von Kontinuität
geht es auch in der Arbeit "Kings of the Hill" (2003). Das Video
zeigt Männer mit ihren Geländewagen an der Küste
Tel Avivs, wie sie in einer Art sportlichem Zeitvertreib ihre Autos
durch das hügelige Gelände manövrieren.
"Jeanne Faust ist eine gekonnte
Erzählerin von Nicht-Geschichten. Keine ihrer Episoden lassen
sich zu einem Strang vervollständigen. Was wir sehen, sind
Randfiguren in einer Randbesiedlung bei Randhandlungen."(Katalog
Manifesta 4) So bildete die Grundlage für ?Interview" (2003)
den misslungenen Versuch, ein Gespräch mit dem ehemaligen Chabrol-
und Fassbinder-Schauspieler Lou Castel zu führen. Castel willigte
später ein, den Verlauf dieses verkoksten Gesprächs nochmals
nachzuspielen. Im schließlich entstandenen Video verteilen
sich die Rollen der Akteure neu. Der inszenierte Prozess des Scheiterns
verwandelt sich in die Dokumentation einer ambivalenten Begegnung,
in der die Machtverhältnisse immer wieder neu definiert werden.
Die jüngste Arbeit "sonst wer wie du" (2004) konfrontiert
die Betrachter mit einem weiten Maisfeld vor eindrucksvoller Bergkulisse.
Zu sehen ist eine Totale, aufgenommen zwischen Hall in Tirol und
Innsbruck. Vor dieser Kulisse spielt eine kurze Szene, fast wie
ein Ausschnitt aus einem längeren Film - ein stockendes Gespräch
zwischen einem jungen Polen, der auf dem Feld arbeitet, und einem
Einheimischen. Allein schon durch den Kauderwelsch aus Tirolerisch,
Polnisch und Englisch bleibt offen, inwieweit es sich dabei um einen
Dialog handelt oder um ein fortgesetztes aneinander Vorbeireden.
Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass zwei Stimmen zu
hören sind, das Gespräch auf der Bildebene jedoch nicht
in der üblichen filmischen Methode von Schuss und Gegenschuss
montiert ist, sondern nur den jungen Mann im Feld zeigt. "sonst
wer wie du" bildet die Bühne, auf der verschiedene Bilder und
Erwartungen aufgerufen werden: Projektionen des Fremden und Vertrauten,
aber auch Vorstellungen des "Alpenländischen", dessen
Bildreservoir sich u. a. aus Heimatfilmen, Landschaftsmalerei, Tourismuswerbung
speist und das auf das vorhandene Nebeneinander von Landwirtschaft,
Kleinindustrie und Gewerbebetrieben stößt. In diesem
Zusammentreffen überlagern sich medial vorgeprägte Bilder
mit den tatsächlich angetroffenen und anschließend inszenierten.
In den Videoarbeiten von Nina Könnemann
nehmen die Handlungsorte eine bedeutsame Rolle ein. Obwohl
es sich um eher alltägliche Orte wie z.B. eine Unterführung,
einen Rummelplatz in Hamburg, die S-Bahnstation Potsdamer Platz
in Berlin oder die Wiese eines Musikfestivals am Morgen danach handelt,
ist es gerade die Abwesenheit eines Ereignisses, die entscheidend
für die Wahl des Ortes wird. Es sind Orte des Übergangs,
seltsame Nonplaces, denen eine grundsätzlich nüchterne
Stimmung innewohnt. Nina Könnemann nimmt zumeist eine beobachtende
Perspektive ein, aus der sie mit der bewegten Handkamera agiert.
Teilweise arbeitet Nina Könnemann in die Handlung inszenierte
Sequenzen ein, die sich aber so sehr in das Geschehen einfügen,
so dass sie sich kaum von den vorgefundenen Ereignissen unterscheiden
lassen. In "M.U.D." (2000) ist eine Festivalwiese zu sehen,
die am Morgen nach dem Konzert mit Müll und liegen gebliebenen
Sachen übersät ist. Personen treten auf, die mit Taschen
unterm Arm über die Wiese gehen. Rentner suchen mit Plastiktüten
in der Hand nach Verwertbarem. Nina Könnemann folgt diesen
Gängen mit der Videokamera. Die Unorganisiertheit des Settings
wird einzig von den Linien, die die Personen durch das Bild ziehen,
geordnet. Geschehnisse und Dinge geraten ins Blickfeld, die für
gewöhnlich der Aufmerksamkeit entgehen, hier aber zu spannungsgeladenen,
situativen Mikroereignissen werden. Für "Unrise" (2001)
postiert sich Nina Könnemann in der Eingangshalle der neuen
S-Bahn Station am Potsdamer Platz Berlin während oben drüber
die Love Parade stattfindet. Ein unablässiges akustisches Off,
bestehend aus Technorythmen, dringt bis hinunter in die Halle. Könnemann
kadriert mit der Videokamera den modernistischen Raum, der als 'Übergangsebene'
zu den S-Bahngleisen dient. Einzelne, offensichtlich betrunkene
Figuren tauchen an den Rolltreppen auf, wanken ein paar Schritte
zwischen den hohen Säulen hin und her, schlagen unvorhergesehene
Wege ein. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass eigentlich keiner
so ganz genau weiß, warum er jetzt gerade hier ist, oder wo
er gleich wieder hingehen wird. Offensichtliche Peinlichkeiten,
Aggressionen oder Situationskomik werden als Teil des vorgefundenen
Settings gezeigt oder inszeniert. Die beobachtende, eher passive
Kamerahaltung Nina Könnemanns lässt eine direkte Entsprechung
des Kamerablicks mit dem Zuschauerblick entstehen. Da weder Schnitt
noch Narrationsverlauf das kommentieren, was gezeigt wird,
entsteht beim Zuschauer zuweilen das unbehagliche Gefühl, zum
Voyeur gemacht zu werden. In ihrer neuesten Arbeit "Castles
made of Sand" (2004), eine Videoinstallation mit Kopfhörer,
geht Nina Könnemann mit der frei geführten Kamera durch
eine trostlose, grün gekachelte Unterführung. Die Kamera
schwankt und schlingert auf dem relativ kurzen Weg von Wand zu Wand;
die Filmende, das Bild und auch die Zuseher verlieren immer mehr
den Halt und den Boden unter den Füssen. Zuweilen stoppt die
Kamera an einer Wand, betrachtet die Fugen zwischen den Kacheln.
Die ganze Situation erinnert an einen Betrunkenen, der kurz innehält,
um sich festzuhalten, um dann wieder weiter zu wanken. Das kurze
Video ist mit eigens komponierter Musik unterlegt, die ebenso eindringlich
das aufwallen und abebben eines Deliriums wiedergibt. Nina Könnemann
stellt die Geschehnisse in ihrer gesamten Disparität dar und
kleinste Beobachtungen werden zu fesselnden Ereignissen. Man könnte
Nina Könnemann´s Blick als einen emphatisch distanzlosen
bezeichnen, der sichtbaren Unordnung eines Ortes ein Stück
eigenartiger Sinnfälligkeit abtrotzt.
Julika Rudelius untersucht die
physische und verbale Kommunikation innerhalb von Gruppen und wie
Codes die Dynamik von Hierarchien innerhalb solcher Gruppenprozesse
preisgeben. Für Rudelius' Arbeiten ist die Kombination aus
dokumentarischen Elementen und Verfremdung der vermeintlich 'natürlichen'
Konversation charakteristisch. Die Grundlage für die Videoarbeit
"Train" (2001) bildet ein Gespräch zwischen einer Gruppe
von Jungs, das Rudelius im Zug belauscht hat. Sie bittet die Jungs
die Unterhaltung in einer nachgestellten Szene zu wiederholen; das
gesamte Gespräch dreht sich um Mädchen und Sex und ist
im weiteren Verlauf von Aufschneidereien geprägt. Die Kamera
späht durch einen Spalt in den Sitzen des Zugabteils, so dass
nur die Gesichter der Jungs zu sehen sind. Rudelius nimmt die Position
des Voyeurs ein. In "Your Blood is as Red as Mine" (2004) interviewte
und fotografierte Rudelius Menschen aus der Black Community in Amsterdam.
Im folgenden ist ein Auszug aus einem Gespräch zwischen Marianne
Heier und Julika Rudelius zu lesen. Das Gespräch wurde anlässlich
der Ausstellung zum Film im Mai/Juni 2004 im Katalog 'feuilleton'
des Marres Centrum Beeldende Kunst, Maastrich veröffentlicht.
MH: But even if you let go of certain securities etc., you are
still the one to establish the rules, keep the focus, and
make the decisions as to editing and so on.
JR: Yes, of course! I base my work entirely on my own experiences
and observations, I follow a certain procedure, and in the end I
give it a shape which is recognizable as mine. Sure, there is a
form of control, but within this framework there is a lot of space
for things to happen. I am not reporting; I am creating situations
containing key sequences of things or experiences I have been living.
Little, odd things like for instance in Your blood is as red
as mine where I really asked this guy "why are all these pictures
so over-exposed?". Or like when I have problems finding the right
exposure taking their photograph because I am just not used to it.
It is extremely stupid, and it is a kind of side-effect; it is not
really outspoken racism, it is rather a sort of racism which is
due to my previous lack of contact with black people. But I want
exactly these small things which kind of linger in your subconscious
and then suddenly reappear on the surface. That's also how I find
them; sometimes these things really happen to me, sometimes I imagine
that they might happen, and then I start looking for the right people
to play it out together with. Most of the time of course I get something
slightly different from what I had imagined. But I never go somewhere
videotaping just random things hoping to get lucky!
MH: I personally find your work more closely related to the
portrait genre than to that of documentary with which you
are so often associated. Your efforts in making us "see the other"
remind me of the thoughts of Emanuel Lévinas; his
ideas about how acknowledging the face and unique humanity
of "the other" makes it impossible to persist in generalized prejudices.
JR: I very much like this line of thought, even though I am
worried that it is going to fade. Mostly "the other" is part of
a group which is badly understood; foreigners for instance. The
main group, in our case mostly whites, the white art world or whatever,
tend to have all these prefixed ideas about them, which they project
on them, treating the whole group according to their own projection.
You see that everywhere; in art, in social work, in politics...
I think it is really poisonous. 'The other' needs to be able to
both face us with our prejudices and correct us by proving them
wrong. Having to constantly do this of course is totally exhausting.
It requires an enormous capacity and energy. Of course prejudices
have a function as a kind of filter in everyday life, but that is
exactly what I am trying to break. And it is a real pleasure; it
is liberating and lovely. (...)
Corinna Schnitt bearbeitet in ihren
Videos das Alltägliche und das Private. Das Haus, die Familie,
die Organisation des Alltags werden in subtilen Mikroszenarien inszeniert
und vorgeführt. "Zwischen vier und sechs" (1997/98) erzählt
vom absurden bundesdeutschen Ordnungssinn und den geregelten Konstellationen
des Familienlebens. Dies geschieht jedoch mit viel Ironie. Eine
weibliche Erzählerstimme schildert, offensichtlich zufrieden
mit ihrem Leben und 'ohne mit der Wimper zu zucken' vom früheren
Familienalltag ihrer 'ganz normalen' Familie in der Vorstadt, während
zu sehen ist, wie sie nun heute, da sie nicht mehr zu Hause wohnt,
jeden Sonntag, sozusagen hobbymäßig, zusammen mit den
Eltern die Straßenschilder in der nähren Umgebung des
Hauses putzen geht. Die Kombination aus der überzogenen Darstellung
von 'Familieneintracht' und einer selbstgewissen und -zufriedenen
Erzählerstimme formiert eine subtile Stimmung, in der die Wahrheit
der Banalität des Privaten, als auch die Identität stiftende
Vertrautheit familiärer Rituale vermittelt werden. “Das
schlafende Mädchen" (2001) ist ebenfalls in einer Reihenhaussiedlung
verortet und besteht aus einer langen Kamerafahrt über neu
gebaute Siedlung, in der jedes Haus dem anderen gleicht. Eine seltsame
Stille und Leere scheint über dem Ort zu schweben und die Fahrt
endet schließlich im Innenraum eines der Häuser auf einem
Gemälde von Vermeer, auf dem ein schlafendes Mädchen zu
sehen ist. In diesem Moment beginnt eine Stimme, offensichtlich
ein Versicherungsvertreter, vom Band eines Anrufbeantworters zu
sprechen. Die Kamera verweilt die verbleibende Zeit, in der die
Stimme über Lebensversicherungen und verlorene Kugelschreiber
monologisiert, auf dem Bildnis des Mädchens. In “Living
a Beautiful Life" (2003) ist die Location ein modernistisches und
elegantes Wohnhaus in Los Angeles. In den schönen, aber steril
wirkenden Räumen sind abwechselnd ein Mann und eine Frau zu
sehen, die von dem schönen Leben berichten, das sie miteinander,
einzeln und mit diesem Haus verleben. Unendlich perfekt inszeniert
und doch unendlich langweilig ist die Vorstellung vom Leben das
sie schildern. Corinna Schnitt überlässt in ihren Videoarbeiten
nichts dem Zufall. Die Konstellationen sind inszeniert, die Blickrichtungen
geplant und durchdacht. In der Kombination von Text und Bild geschieht
jedoch eine subtile Interaktion, mit der Corinna Schnitt einen diskursiven
Raum des Privaten im Alltäglichen eröffnet und zielsicher
auf eine Auseinandersetzung mit den Vorstellungen und Utopien der
Organisation unseres Lebens drängt.
In ihrer ersten Videoarbeit “Vorbasse Horse
Fair and Market" (1994) besucht Gitte Villesen Nachts
die im Titel genannte Veranstaltung und filmt dort einen ihr unbekannten
Besucher. Dieser fühlt sich zunächst von der ungewohnten
Aufmerksamkeit angezogen und flirtet vor laufender Kamera mit Gitte
Villesen. Doch langsam wird er unruhig. Denn die schweigende Kamerafrau
verrät nicht, warum sie eigentlich unbeirrt mit ihren Aufnahmen
fortfährt. So entwickelt sich zunehmend ein Zwiegespräch
zwischen dem Gefilmten und dem Prozess des Filmens. Das filmische
Porträt wird ungeschnitten belassen. Der Kunstkritiker Raimar
Srange schreibt im Kunstbulletin 2/03: “Gitte Villesen porträtiert
in der Folge mehr oder weniger 'merkwürdige' Lebensentwürfe.
Merkwürdig sind diese, weil sie sich mal mit eher 'kauzigem'
Charakter, mal mit eher bewusst 'asozialer' Qualität und auch
mal mit dezidiert künstlerischer Haltung am Rande der Gesellschaft
bewegen. Die hier vorgestellten Menschen sind in vielerlei Hinsicht
auf der Flucht vor den diktatorischen Normen und falschen Funktionszusammenhängen
des 'richtigen Lebens'. Diesen Porträts von Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielern,
Strassen- und Projektkünstlern, von Diskjockeys und Transsexuellen
sind dann nicht nur analysierende Beschreibungen von listigen Kritiken
an der bestehenden Gesellschaft ablesbar, sondern auch ein sehnsuchtsvolles
Begehren, dass sich nicht mit den Lustversprechen von bürgerlicher
Gesellschaft und ihrer Unterhaltungsindustrie zufrieden gibt. In
dem Video “Ingeborg the Busker Queen", (1999) erzählt
Gitte Villesen von dem Leben der Straßenkünstlerin Ingeborg.
Diese seltsam selbstverständlich, ja bieder anmutende Exzentrikerin
filmt und interviewt die Künstlerin in dem kleinen “Museum
für Straßenkunst", das Ingeborg gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten
Cibrino in dem dänischen Vorbasse, gegründet und aufgebaut
hat. Dort gibt es mancherlei Kuriositäten zu bewundern: Zahme
Ratten und Papageien etwa, oder das Foto einer Kuh mit zwei Köpfen,
die Ingeborg bis zu deren frühen Tod gepflegt hatte. Der amerikanische
Cultural Studies-Theoretiker John Fiske schreibt 1993 in seinem
Klassiker, “Power works, power play", dass “locals",
die in abgeriegelter, aber selbst bewusster Defensive in kleinen
Communities leben, mit ihrem freiheitlichen Potential dem nicht
gänzlich als übermächtig gedachten “Power bloc"
emanzipativen Widerstand entgegensetzen können. Nicht mehr
die großen, vorbildlichen Lebensentwürfe sind es, die
ihn interessieren, sondern kleine, versteckte und völlig unmissionarisch
gemeinte Alternativen. Genau dieses Moment des Sichselbstgenügens
gibt auch bei Gitte Villesens Erzählungen aus der Provinz in
Bild und Ton die Richtung an: Sie bietet auf den ersten Blick fast
belanglose Miniaturen an, die, wenn man sich denn in aller Ruhe
auf sie einlässt, langsam aber sicher ihre doch latent subversiven
Qualitäten behaupten." In der Videoinstallation “The
Building" (2003) porträtiert Villesen das Creative Reuse
Warehouse , eine Arbeitsgemeinschaft in Chicago. Drei Videoprojektionen,
verschiedene Collagen und ein gedruckter Text stellen über
konkrete Situationen und persönliche Gespräche die Bewohner
und Jugendlichen vor, die dort arbeiten. Villesen thematisiert gesellschaftliche
Normen und Grenzen und die Frage: gibt es eine 'richtige' Art zu
leben?
Melanie Ohnemus
1Hito
Steyerl, Politik der Wahrheit - Dokumentarismen im Kunstfeld, springerin
3/03
2vgl. Gilles Dleuze,
Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt a. M., Suhrkamp Verlag, 1997,
S. 22 ff.
3Jan Verwoert, Research
and Display. In: Gregor Neuerer (Hg.): Untitled (Experience of Place),
Köln, Verlag Walther König, 2004
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